Müller-Hof Newsletter – September 2024
art – AktuelleRechtsTipps
Arbeitsrecht: Variable Vergütung bei verspäteter Zielvorgabe
Weit verbreitet sind variable Vergütungen, deren Höhe sich nach dem Grad der Zielerreichung richtet. Allerdings gibt es in der Praxis häufig Probleme, weil Zielvereinbarungen oder -festlegungen versäumt werden oder erst sehr spät erfolgen.
Das Landesarbeitsgericht Köln (Urteil vom 06.02.2024 – 4 Sa 390/23) hatte einen Fall zu beurteilen, in dem die Führungskraft vereinbarungsgemäß eine variable Vergütung von EUR 28.500 bei voller Zielerreichung erhalten sollte. Laut Vereinbarung sollten die Ziele bis März eines jeden Kalenderjahres vom Vorgesetzten definiert werden nach vorheriger Besprechung mit dem Mitarbeiter. Für das Jahr 2019 teilte der Geschäftsführer den Führungskräften die Ziele für das laufende Geschäftsjahr allerdings erst mit E-Mail vom 26.09.2019 mit. Der klagende Mitarbeiter kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 30.11.2019. Er erhielt nur eine variable Vergütung von EUR 15.586 und forderte deshalb die Differenz zum Betrag bei voller Zielerreichung.
Anders als die Vorinstanz sprach das LAG Köln dem Kläger den Betrag zu, weil die Zielvorgabe nicht rechtzeitig erfolgt war. Er könne Schadensersatz statt der Leistung verlangen, weil eine einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden sei. Nach BAG-Rechtsprechung sei eine Zielvereinbarung spätestens nach Ablauf der Zeit, für welche die Zielvorgabe gelten sollte, nicht mehr möglich, was zu Schadensersatz führe. Das LAG Köln meint, dass auch eine zunächst pflichtwidrig unterbliebene Zielvorgabe Schadensersatzansprüche auslöse, selbst wenn sie noch vor Ablauf der Zielperiode nachgeholt wird. Denn auch dann könne sie die Anreizfunktion zur Leistungssteigerung und Motivation nicht mehr sinnvoll erfüllen. Ein solcher verspäteter Zeitpunkt sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu drei Vierteln abgelaufen ist. Im Ergebnis sei der Kläger rechtlich so zu stellen, als sei gar keine Zielvorgabe erfolgt, so dass er Schadensersatz fordern kann.
Bei fehlender Festlegung stellt sich immer auch die Frage, wie hoch der Schadensersatzanspruch ist. In der Regel ist davon auszugehen, dass realistische und erreichbare Ziele festgelegt werden, so dass im Grundsatz von 100% Zielerreichung auszugehen ist. Allerdings kann der Arbeitgeber besondere Umstände darlegen und nachweisen, wonach die hypothetischen Ziele, die man festgelegt oder vereinbart hätte, nicht erreicht worden wären (BAG 12.12.2007 – 10 AZR 97/07). Deshalb sind nicht immer und ausnahmslos 100% anzusetzen.
Von Bedeutung ist auch die Frage, ob allein der Arbeitgeber in der Pflicht ist, weil er die Ziele einseitig festzulegen hat, oder ob bei einer einvernehmlichen Zielvereinbarung (auch) der Mitarbeiter die Initiative bezüglich einer Zielvereinbarung hätte ergreifen müssen. Versäumt ein Mitarbeiter die Mitwirkung und bleibt untätig, ist sein Schadensersatzanspruch wegen des Mitverschuldens angemessen zu mindern, z.B. um 10 % (so BAG 17.12.2020 – 8 AZR 149/20).
Durch rechtzeitige Festlegung oder Vereinbarung von Zielen können solche Praxisprobleme vermieden werden, zudem kann dadurch die bezweckte Anreizfunktion sichergestellt werden.