Müller-Hof Newsletter – Juni 2024
art – AktuelleRechtsTipps
Arbeitsrecht: Beweiswert der ärztlichen Krankschreibung
Im Regelfall genügt es für einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wurde. Die frühere Vorlage einer AU-Bescheinigung gegenüber dem Arbeitgeber wurde inzwischen weitgehend durch die elektronische AU-Bescheinigung ersetzt, die bei der Krankenkasse abgerufen wird.
Allerdings können besondere Umstände Zweifel an tatsächlich bestehender Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen und den Beweiswert der ärztlichen Krankschreibung erschüttern. Dazu gehören z.B. besondere sportliche Aktivitäten, Wohnungsrenovierung oder eine angekündigte Erkrankung. Das bedeutet aber nicht, dass die Entgeltfortzahlung definitiv ausgeschlossen ist. Vielmehr können Arbeitnehmer in einem nächsten Schritt einen weitergehenden Nachweis tatsächlich bestehender Arbeitsunfähigkeit erbringen, z.B. durch ein aussagekräftigeres Arztattest oder Benennung des Arztes als Zeuge im Gerichtsverfahren. Auf diese Weise gelingt in der Praxis oft früher oder später doch ein ausreichender Nachweis.
In letzter Zeit häufen sich Gerichtsurteile zu Fällen, in denen die Krankmeldungen in engem Zusammenhang mit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses stehen. Besonders zweifelhaft ist sicherlich, wenn ein Arbeitnehmer selbst kündigt und sich zugleich exakt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankschreiben lässt (BAG 08.09.2021 – 5 AZR 149/21). Das Bundesarbeitsgericht hat darüber hinaus kürzlich klargestellt, dass der Beweiswert ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch dann erschüttert sein kann, wenn die Kündigung vom Arbeitgeber ausgeht und wenn für die Dauer der Kündigungsfrist mehrere Bescheinigungen nacheinander vorgelegt werden. Allerdings müssen die Kündigung und die Krankschreibung zeitlich zusammenfallen (BAG 13.12.2023 – 5 AZR 137/23). Weiß der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der ersten Krankschreibung noch gar nicht, dass der Arbeitgeber ihm in Kürze kündigen wird, fehlt logischerweise ein solcher Zusammenhang. Spätere „passgenaue“ Folgebescheinigungen nach Erhalt der Kündigung können aber solche Zweifel begründen, wie das BAG festgestellt hat.
Ergeben sich Zweifel an einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit, können Arbeitgeber somit zunächst weitere Nachweise fordern und bis dahin die Entgeltfortzahlung ablehnen. Da Ärzte aber üblicherweise als Zeugen die Richtigkeit ihrer erstellten Bescheinigungen verteidigen, ist in einem Rechtsstreit meist am Ende doch mit der Verurteilung zur Entgeltfortzahlung zu rechnen.