Müller-Hof Newsletter – März 2023
art – AktuelleRechtsTipps
Arbeitsrecht: Aktuelles zum Urlaubsverfall
Das Thema „Urlaub“ ist nach wie vor stark in Bewegung. Einerseits gilt laut EuGH und BAG seit 2011, dass bei fortdauernder Krankheit nicht genommener Urlaub nach einem Übertragungszeitraum von 15 Monaten verfällt. Neuere EuGH-Rechtsprechung vom November 2018 (Az. C-684/16) bestimmt jedoch, dass Urlaub nur dann verfallen kann, wenn der Arbeitnehmer zuvor ausdrücklich über die Möglichkeit des Urlaubs informiert, zur Beantragung aufgefordert und auf den anderenfalls drohenden Verfall hingewiesen wurde. Dem Arbeitgeber wurden dadurch erstmals „Mitwirkungsobliegenheiten“ auferlegt, ohne deren Erfüllung kein Urlaub verfallen kann.
Die geänderte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wirkt sich auch immer wieder auf die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts aus.
Bereits im September 2021 hatte das BAG (Az. 9 AZR 3/21) entschieden, dass Urlaub auch dann nach einem Übertragungszeitraum von 15 Monaten verfällt, wenn zwar der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, der Arbeitnehmer aber im kompletten Kalenderjahr arbeitsunfähig war. Denn solche Hinweise hätten bei durchgängiger Krankheit nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs beitragen können.
In den letzten Wochen ergingen vier BAG-Entscheidungen, mit denen weitere offene Detailfragen geklärt wurden:
Im Urteil vom 20.12.2022 (Az. 9 AZR 245/19) ging es wieder um den Urlaubsverfall bei Krankheit. Der Arbeitnehmer war von Dezember 2014 bis mindestens August 2019 krank und machte geltend, dass 24 Tage Resturlaub aus 2014 – dem Jahr der Erkrankung – mangels arbeitgeberseitigem Hinweis noch nicht verfallen seien. Das BAG gab ihm Recht. Wenn im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet wurde, bevor Krankheit eintrat, kann ein Urlaubsverfall später nur eintreten, wenn die Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt wurden. Ohne einen solchen Hinweis besteht der Urlaub auch noch nach vielen Jahren der Krankheit fort. Urlaub ab 2015 war jedoch verfallen, weil in diesen Jahren durchgängig Arbeitsunfähigkeit bestand. Die Unverfallbarkeit bei unterbliebenen Hinweisen gilt nur für das Jahr, in dessen Verlauf die Arbeitsunfähigkeit eintritt.
Ebenfalls am 20.12.2022 (Az. 9 AZR 266/20) entschied das BAG über die Verjährung von alten Urlaubsansprüchen. Eine Steuerfachangestellte schied im Juli 2017 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Sie hatte über viele Jahre immer nur wenig Urlaub genommen, weshalb sie bei Vertragsende auch die Abgeltung des Resturlaubs aus den ganzen Vorjahren forderte. Der Arbeitgeber wollte nur den Resturlaub des aktuellen Jahres abgelten und hielt den Resturlaub aus lange zurückliegenden Jahren für verjährt. Das BAG entschied nach einer Vorabklärung mit dem EuGH, dass Urlaub zwar nach drei Jahren verjähren kann, die Verjährungsfrist aber erst dann beginnt, wenn der Arbeitgeber durch Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten die Inanspruchnahme des Urlaubs ermöglicht hat. Da es hier in der Vergangenheit (wie damals üblich) keine solche Aufklärung mit Hinweisen gab, waren laut BAG auch die 76 alten Urlaubstage nicht verjährt und mussten abgegolten werden.
Diese Gerichtsentscheidungen ermöglichen auch die Geltendmachung von Urlaub aus länger zurückliegenden Jahren. Für Unternehmen besteht deshalb ein Risiko, wenn jahrelang Urlaub übrig geblieben ist. Das Risiko lässt sich allerdings zum einen durch differenzierende Vertragsgestaltung begrenzen, weil die Grundsätze der Rechtsprechung nur für den gesetzlichen Mindesturlaub zwingend sind, nicht für den zusätzlich gewährten Mehrurlaub. Zum anderen kann der Hinweis auf die Möglichkeit der Urlaubsnahme, die Aufforderung hierzu und den anderenfalls drohenden Urlaubsverfall vor bösen Überraschungen schützen. Er ist mindestens einmal im Jahr zu empfehlen. Wurde er erteilt, aber trotzdem kein alter Urlaub genommen, kann auch der über Jahre angesammelte Resturlaub am Jahresende verfallen.
In zwei weiteren BAG-Urteilen vom 31.01.2023 (Az. 9 AZR 456/20 und 9 AZR 244/20) ging es um die Frage, ob der Anspruch auf Urlaubsgeltung bei Vertragsende der Verjährung unterliegt bzw. ob (tarif-)vertragliche Ausschlussfristen für die Geltendmachung eingreifen. Beide Kläger schieden bereits 2014 bzw. 2015 aus dem Arbeitsverhältnis aus, forderten aber erst 2018 bzw. 2019 eine Abgeltung des Urlaubs, der in den ganzen Beschäftigungsjahren nicht gewährt worden war. Das BAG bestätigte, dass der Abgeltungsanspruch verjähren und Ausschlussfristen unterliegen kann, und zwar unabhängig von den arbeitgeberseitigen Mitwirkungsobliegenheiten. Denn diese Hinweispflichten gelten nur für den Anspruch auf Urlaubsgewährung, aber nicht für den Zahlungsanspruch auf Urlaubsabgeltung bei Vertragsende. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt im Regelfall am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, eine (tarif-)vertragliche Ausschlussfrist mit Fälligkeit. Allerdings hätten laut BAG die Verjährungs- und Ausschlussfristen ausnahmsweise noch nicht begonnen, solange eine Geltendmachung oder Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar war. Erst mit dem EuGH-Urteil vom November 2018 entstanden neue Regeln für den Urlaubsverfall und die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers, woraus sich nun erstmals die Möglichkeit ergab, Urlaubsabgeltung auch für länger zurückliegende Zeiträume geltend zu machen. Erst ab diesem Zeitpunkt war eine entsprechende Geltendmachung hinsichtlich weit zurückliegender Jahre aussichtsreich und somit zumutbar. Deshalb hielt das BAG hier ausnahmsweise die Geltendmachung erst vier Jahre nach dem Ausscheiden nicht für verspätet.
Für ganz aktuelle Fälle hat diese Rechtsprechung aber keine praktische Bedeutung mehr, denn die demnach erst Ende 2018 beginnenden Verjährungsfristen sind Ende 2021 abgelaufen, so dass sich Arbeitgeber inzwischen immer auf die dreijährige Verjährungsfrist und auch auf kürzere (tarif-)vertragliche Ausschlussfristen berufen können.